Er liess sich in der Lokalpresse mit folgendem Satz zitieren: «Was ich erzähle, muss nicht immer stimmen.». Ein glasklares Indiz, dass ich es mit einem Profi zu tun hatte. Mit der Wahrheit stellte er vermutlich ähnliches an wie Uri Geller mit seinen Löffeln. Aufgrund dieser Ausgangslage verzichtete ich am Vorabend des Treffens auf ein Bier und griff stattdessen zu Baldriantee aus meiner Hausbar. Mein Gesprächspartner betrat pünktlich das Café Plaza. Ich fing ihn sofort ab. In der vergangenen Nacht habe es vor seiner Wohnung gebrannt, erzählte er beiläufig und fügte an, er würde mir die verkohlten Tonnen später zeigen. Zuerst aber nehme er einen schwarzen Kaffee, ohne nichts. Ich bestellte und wiederholte, was ich bereits am Telefon gesagt hatte: Er solle mir zwei Geschichten auftischen. Eine müsse stimmen, die andere sei erlogen. Meine Aufgabe wäre es, die Lüge zu entlarven. Liege ich daneben, binde ich mir wie vereinbart einen Plüschbären auf meinen Rücken und mische mich unters Volk. Mein Gegenüber nickte und präsentierte mir folgende zwei Anekdoten:
Anekdote 1
Als Sigrist habe er einst die Kollekte eingesammelt. Eines Tages habe ein schick gekleideter Mann auf der Kirchenbank Platz genommen. Dieser habe mit unschuldigem Blick behauptet, nur grosse Noten bei sich zu haben und aus diesem Grund nicht spenden zu können. Er, der Sigrist, aber öffnete geistesgegenwärtig das mässig gefüllte Opferkörbli und wechselte 90 Franken auf 100 heraus. Der Kirchgänger meinte verdutzt, 90 Franken wären zu wenig. Der Sigrist erklärte trocken, dies sei der «Vatikantarif» – nicht verhandelbar. Seither habe der Kirchgänger immer «passend» gespendet.
Anekdote 2
Er habe sich den Titel «Güselkommissar» eingeheimst, weil er den Kehricht im Wald sammelte und Fundstücke gut sichtbar aufhängte. Mit Girlanden aus Taschentüchern, Alufolien und Bierdosen schmückte er den Wegrand. An einem Morgen habe er einen knallroten Damenslip gefunden und ihn prominent inszeniert. Zwei Wochen lang hing der Slip wie ein Mahnmal am Weg, bis er spurlos verschwand. Daraufhin habe ihn ein Spaziergänger neugierig gefragt, ob er wisse, wo der Slip hingekommen sei. Der «Güselkommissar» verneinte, worauf sich der Mann verabschiedete. Offenbar hatte mindestens ein Passant seine Orientierungshilfe verloren.
Mein Gegenüber schien ein gerissener Täuscher zu sein. Kein Zucken mit seinem Schnurrbart, keine Unsicherheit in seiner Stimme. Dass er als Sigrist gearbeitet hatte, belegten meine Recherchen. Aber kommen bei leeren Kirchenbänken tatsächlich 90 Franken an Wechselgeld zusammen? Auch die zweite Anekdote erschien verdächtig. Warum sollte sich ein Spaziergänger nach einem verschwunden Slip erkundigen? Ich grübelte, analysierte und tippte schliesslich prompt daneben. Mein Gegenüber schmunzelte und sagte mir genüsslich, ich könne mir den Plüschbären an einem Samstag in der Bibliothek aufbinden. Um diese Zeit sei sie immer gut besucht. Nun aber wolle er mir noch die verkohlte Tonne zeigen, fügte er an – als sei das der krönende Beweis für seine Glaubwürdigkeit. Was denken Sie? Bei welcher Geschichte wurde geflunkert? Die Auflösung finden Sie in der nächsten Ausgabe. Wer aber der Protagonist im ersten Fall war, haben Sie vermutlich bereits erraten. Wenn nicht: Fragen Sie die Dorfältesten.